Dienstag, 21. März 2017

Scherbenpark Löung

Lösungsvorschlag

1       Inhalt und Textvorstellung

In der vorliegenden Passage aus dem 2008 erschienen Roman „Scherbenpark“ von Alina Bronsky reflektiert die siebzehnjährige Ich-Erzählerin Sascha Naiman (S.N.), eine russische Spätaussiedlerin, die jetzt in einer Problemsiedlung in einer Stadt in Hessen wohnt, über ihr Leben. Ausgangspunkt ihrer Gedanken ist die Ermordung ihrer Mutter durch ihren Stiefvater.
 Nach der Ankunft in Deutschland gelingt es der Familie, dass die Ich-Erzählerin, an einem elitären katholischen Privatgymnasium aufgenommen wird. Hier fühlt sie sich als Außenseiterin.
Ihre Freundin Anna lebt mit ihr im selben Jochhaus. Obwohl sie sich offensichtlich gut verstehen, fühlt sich Sascha auch ihr gegenüber fremd, da sie ihr überlegen ist.
Nach der Ermordung ihrer Mutter durch ihren Stiefvater Vadim kümmert sich Sascha liebevoll um ihren Halbbruder Anton, den sie bei der Aufarbeitung des Traumas unterstützt und vor der Umwelt schützt.


2       Charakterisieren Sie Sascha Naimann.

Sascha, eigentlich Alexandra Naimann, ist eine 17jährige (vgl. Z. 13) Spätaussiedlerin aus Russland, die wohl erst vor wenigen Jahren mit ihrer Mutter, ihrem Stiefvater Vadim, ihrem jetzt neunjährigen Halbbruder Anton und möglicherweise noch mehr Geschwistern (sie bezeichnet sich als die „älteste Tochter“ ihrer Mutter, Z. 5) aus Moskau nach Deutschland umgesiedelt ist. Ihre Mutter war in Russland Kunsthistorikerin und eine bekannte oppositionelle Schauspielerin (vgl. Z. 86ff.; Z. 163)

Vor noch nicht allzu langer Zeit  hat Vadim, der vermutlich zu diesem Zeitpunkt nicht mehr in der Wohnung der Familie lebte ( „Warum hast du ihn an diesem verdammten Abend in die Wohnung gelassen?“,  Z. 175), Saschas Mutter ermordet und sitzt nun für lange Zeit im Gefängnis.

Zum Zeitpunkt der Erzählgegenwart lebt sie mit Anton in einer Stadt in Hessen (vgl. Z. 37, möglicherweise Wiesbaden oder Offenbach, aber nicht Frankfurt; vgl. Z. 120f.) in einem Wohnblock, der offenbar als sozialer Brennpunkt gilt (vgl. Z. 89f.). Die Beschreibung des vom Sperrmüll stammenden Mobiliars (vgl. Z. 104ff.) deutet darauf hin, dass die Familie auch vor dem Tod der Mutter nicht viel Geld zur Verfügung hatte.

Sascha ist offenbar ein sehr intelligentes Mädchen:
-        Sie hat schnell sehr gut Deutsch gelernt („Wie ich es in so kurzer Zeit geschafft habe, meinen Moskauer Akzent gegen das Hochdeutsch einzutauschen [...]“, Z. 35f.)
-        Sie arbeitet weiter daran, ihr Hochdeutsch zu verbessern ([...] in dem ich nun erbittert die hessischen Zischlaute bekämpfe, die ich zu Beginn meines Aufenthalts von den Türken aus dem Nachbarblock übernommen habe.“, Z. 36f.)
-        Sie ist sehr gut in der Schule („Wenn ich mal eine Zwei bekomme, kommt der Lehrer zu mir und entschuldigt sich.“, Z. 43f.)
-        Ihre Mutter erkennt Saschas überlegenen Intellekt an („Meine Mutter hatte darüber gelacht und gesagt, dass ich ihr unheimlich bin. Ich war ihr schon immer unheimlich, weil ich logischer dachte als sie.“, Z. 45f.)
-        Ihre Intelligenz führen Sascha und ihre Mutter auf ihren mehrfach promovierten Vater zurück (vgl. Z. 49ff.)
-        Sie hat ein Stipendium für ein privates katholisches Gymnasium bekommen, das offenbar recht elitär ist (vgl. Z. 54ff., Z. 62ff.)
-        Sie möchte ein Buch über ihre Mutter schreiben (

Das macht sie recht selbstbewusst, ja womöglich arrogant:
-        Sie fühlt sich ihrer Mutter intellektuell überlegen (vgl. Z. 5, Z. 45 u. Z. 176ff.).
-        Sie fühlt sich Anna überlegen: „Ich habe vielleicht ein paar Millionen Synapsen mehr als Anna, bestimmt sogar.“ (z. 42f.)
-        Sie lässt Anna verächtlich ihr überlegenes Wissen spüren („,Weißt du denn, was Solitär eigentlich heißt, du dumme Kuh,‘ frage ich. ,Das ist ein besonders edler Diamant, der einzeln in der Krone sitzt. Du wirst nie wieder in einem Solitär wohnen, wenn du hier ausziehst.‘“, Z. 20ff.)

Sie fühlt sich mit ihrem sozialen und materiellen Hintergrund unter ihren Mitschülerinnen als Außenseiterin:
-        Bei ihrem Eintritt in die Schule fühlt sie sich fremd: „Meine Mitschüler haben mich am ersten Tag angestarrt, als wäre ich gerade aus einem Ufo geklettert. Da die meisten von ihnen noch nie richtige Ausländer aus der Nähe gesehen hatten, waren sie alle nett zu mir.“ (Z. 67ff.)
-        Sie vergleicht den Wohlstand ihrer Klassenkameradin Melanie mit ihren eigenen Wohnverhältnissen (Z. 75ff. u. 103ff.)
-        Sie wird zwar von Klassenkameradinnen (oder deren Müttern) eingeladen, findet aber trotzdem keinen engeren Kontakt zu diesen Mitschülerinnen („Dort schaltete Melanie ihre Stereoanlage ein. Ich entdeckte daneben einen Stapel alter „Bravos“ und begann zu lesen. Melanie drehte sich unterdessen auf ihrem Bürostuhl und telefonierte mit einer Freundin.  Dafür, dass wir uns nichts zu sagen hatten, fand ich die Zeit gut verbracht.“, Z. 96ff.)
-        Sie fühlt sich außer Stande, ihrerseits die Mitschülerinnen zu sich nach Hause einzuladen, kann sich „eine Umkehrung der Situation beim besten Willen nicht vorstellen“, Z. 73f.)

Sie neigt zu einer gänzlich unromantischen, nüchternen und rationalen, ja desillusionierten Sichtweise auf das Leben und die Umwelt:
-        Sie findet die Pferdebettwäsche ihrer wohlhabenderen Klassenkameradin nicht romantisch:  „Ich fragte mich, wie man auf und unter diesen Pferden einschlafen kann, ohne Augenflimmern zu bekommen.“ (Z. 80f.)
-        Sie empfindet die Träume anderer vom Glück als „kläglich“ (Z. 9) und begegnet ihnen mit verächtlicher Ironie (vgl. Z. 21f.)
-        Sie sieht sich als „die einzige in unserem Viertel, die noch vernünftige Träume hat“ (Z. 1f.)
-        Diese Träume sind gänzlich unromantisch: Sie will ein Buch über ihre Mutter schreiben und deren Mörder töten (Z. 2f.)
-        Sie beschreibt ihre Mutter als „zwar auch nicht dumm, aber viel zu gefühlvoll“ (Z. 46f.)

Dies wird noch verstärkt durch ihre Reaktionen auf die Ermordung ihrer Mutter:
-        Sie hasst Vadim, den Mörder ihrer Mutter (Z. 144).
-        Es hilft ihr bei der Verarbeitung des Traumas, Pläne zu Vadims Ermordung zu schmieden: „Seit ich weiß, dass ich Vadim umbringen werde, geht es mir viel besser“(Z. 126f.; das Gespräch mit ihrem Bruder über die Pläne selbst Z. 130-142)
-        Sie weitet ihren Hass auf Vadim generell auf das andere Geschlecht aus: „Ich hasse Männer.“ (Z. 115)
-        Sie macht ihrer toten Mutter in Gedanken bittere Vorwürfe, dass sie Vadim geheiratet und in die Wohnung gelassen hat (vgl. Z. 174ff.)
Das traumatische Morderlebnis selbst hat sie teilweise verdrängt: „Ich bin auch froh, dass ich mich an nichts erinnern kann, obwohl ich dabei war.“ (151ff.) [oder alternativ: sie täuscht die Amnesie nur vor, um ihren Bruder zu schonen; vgl. auch Z. 168f.)

Diesem Hass steht die Liebe zu ihrem Bruder Anton und – trotz aller Kritik – zu ihrer ermordeten Mutter gegenüber:
-        Sie fühlt sich ihm im Hass auf Vadim verbunden: „Ich war erleichtert, dass Anton die Idee gut findet. Schließlich ist Vadim sein Vater. Aber der Kleine hasst ihn genauso wie ich. Wenn nicht noch mehr.“ (Z. 142ff.)
-        Sie verteidigt den traumatisierten Bruder mit Gewalt gegen die gefühllosen Scherze anderer Kinder (vgl. Z. 157f.)
-        Sie nimmt ihn nachts in ihr Bett auf, obwohl er ihr auf die Beine pinkelt (vgl. Z. 159ff.)
-        Sie akzeptiert nur den Namen „Sascha“, mit dem ihre Mutter sie gerufen hat (vgl. Z. 30f.)

-        Sie will ihrer Mutter, deren Wesen sie schätzt,  in ihrem Buch Gerechtigkeit widerfahren lassen (vgl. Z. 179ff.).